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In Memoriam an Judith Stamm

28. Juli 2022 – Nachruf von Pirmin Meier

Mit der inoffiziellen Bundesratskandidatin (1986) und Nationalratspräsidentin 1996/97 tritt die markanteste Politikerin der einstigen CVP von der irdischen Bühne ab. Was Theologe Küng für die Kirche, für die Luzerner Politik wurde es die dort bestgewählte Nationalrätin: die «Öffnung» ihrer Partei bei fast Halbierung zugunsten von SVP und politisch Begrünten. «Beharrlich» und «unaufgeregt», wie sie auch die Gemeinnützige Gesellschaft führen sollte, vermochte die nie Eingemittete sich als «eigenwillig» durchzusetzen. Die Todesanzeige der «Mitte» bleibt ehrlich.

Stamm verdankte ihren Aufstieg weder dem Verbandskatholizismus, noch war sie, wie die erste höchste Schweizerin Elisabeth Blunschy-Steiner, Tochter eines Nationalrats. Nicht als Feministin, sondern als kriminologisch erfahrene Untersuchungsrichterin wurde sie Oberstleutnant des luzernischen Polizeikorps. Problemfelder wie Jugendkriminalität (Schutzalter) und Abtreibung sah die Juristin «lösungsorientiert», wie man heute zu sagen pflegt. Dank Doktorarbeit «Das sexuell geschädigte Kind in der Strafuntersuchung» erfahrungsbezogen. Deshalb wurde 1983 ihre Erstkandidatur nach Bern von Konservativen um Altbundesrichter Korner bekämpft.

Dass sie zusammen mit Rosmarie Dormann die Braven unter den Parteikollegen auf die Hinterbänke verwies, verdankte sie nicht bloss dem Zeitgeist. Die Leserin des aufgeklärten Entlebuchers Hugo Loetscher verfügte über einen kulturpolitischen Horizont. In Altdorfs Bibliothek bekannte sie sich zu Tell. Eine öffentliche Totenmesse hat die in der «Frauenfrage» Kompromisslose für sich aber nicht vorgesehen.

(Weltwoche 30/31 v. 28. Juli 2022)

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